AI und Chat GPT – Der nächste Kondratieff in der Weltgeschichte?

von Fred Geiger

Der 1892 geborene sowjetische Wirtschaftswissenschaftler Nikolai Kondratieff, der 1938 ein Opfer des Stalinismus wurde, entwickelte die Idee der langen Wirtschaftszyklen, die über die letzten 250 Jahre die Welt geprägt haben. Beginnend mit der verbesserten Dampfmaschine von James Watt und der modernen Textilindustrie (automatischer Webstuhl und automatische Spinnmaschine) im späten 18. Jahrhundert, sind diese etwa 40 bis 60 Jahre lang. Als letzter, fünfter Kondratieff, galt die Entwicklung der IT- und Telekommunikationsindustrie in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts, dessen wesentlicher Bestandteil die Verbesserung der Informationstechnologie, vor allem bei der Hardware war und die natürlich auch das Internet bzw. das World Wide Web umfasste.

Am Ende eines jeden Kondratieffs (so werden diese Zyklen nach seinem Entdecker auch genannt) steht dann übrigens immer die Ausreizung einer bestehenden Technologie und damit verbunden eine wirtschaftliche Stagnation. Bis dann in dieser Wirtschafts- und Sinnkrise kluge Menschen das „Alte“ über Bord werfen und völlig neue Ideen entwickeln, um damit dann einen neuen wirtschaftlichen Aufschwung in Gang zu setzen. Dieser geht dann aber auch immer mit erheblichen gesellschaftlichen Verwerfungen einher. Der vielleicht bedeutendste Ökonom des 20. Jahrhunderts, der Österreicher Joseph Schumpeter, nannte das den Prozess „der kreativen Zerstörung“.

Mir scheint, dass wir wieder genau an einem solchen Punkt angekommen sind und dass, neben anderen Technologien, zu diesen neuen Faktoren die Künstliche Intelligenz gehört. Mir selbst fehlen Wissen und Ausbildung, um das ganze Ausmaß der Entwicklungen und Möglichkeiten auch nur ansatzweise zu erfassen. Trotzdem ist aus meiner Sicht auch meine Arbeit und meine (berufliche) Zukunft von einem kleinen Teilaspekt der KI unmittelbar betroffen und zwar sehr viel schneller, als ich es mir hätte vorstellen können. Das Werkzeug, das meine Welt, die Welt des Marketing und der Bildung revolutionieren wird, heißt für mich Chat GPT, bzw. BARD (die Alternative hierzu, an der Google gerade fieberhaft arbeitet).

Ein Beispiel: in diesem Blog versuche ich mich an „meinen“ Themen immer in Form von Artikelreihen, wie „10 Erfolgsfaktoren agilen Marketings“ und wende dafür natürlich relativ viel Zeit und Mühen auf. So überlegt man sich zum Beispiel was „Agiles Marketing“ überhaupt ist – oder man füttert Chat GPT und erhält innerhalb weniger Sekunden die folgende erstaunliche Antwort:

Antwort von Chat GPT auf die Frage „Definition Begriff Agiles Marketing“

Ganz ehrlich – viel besser kann man es eigentlich nicht formulieren, auch wenn in diesem Text natürlich noch Fehler enthalten sind (so ist agiles Marketing keinesfalls eine Marketingstrategie, sondern eine grundsätzliche Denkweise), die eine oder andere vertiefende Information fehlt und die Quellenlage nicht klar ist.

Was aber bedeutet das für das Marketing und den Bildungssektor, in dem ich und vielleicht auch Sie tätig sind?

  1. Bei einer Dozentenkonferenz an einer Hochschule, an der ich arbeite, berichtete ein Kollege, dass CHAT GPT eine von ihm gestellte (auf Wissen basierende) Klausur mühelos bestehen würde. Hier stellt sich zukünftig die Frage, welches Wissen wir in welcher Form vermitteln müssen und wie Prüfungsformate in Zukunft aussehen werden. Die „Vorlesung“ im Wortsinn wird auf jeden Fall in Zukunft wohl zum Anachronismus werden.
  2. Was bedeutet CHAT für die zukünftigen Aufgaben von Call-Centern (oder besser: Contact-Centern) von Unternehmen? Wie viele und welche Menschen werden dort in Zukunft noch beschäftigt sein? Schließlich können diese Systeme auch heute schon sprechen und das sogar im Dialog.
  3. Wie werden zukünftig E-Mail-Shots und Newsletter formuliert und welche Möglichkeiten für die Individualisierung der Kundenkommunikation ergeben sich daraus?
  4. Welche Unmengen an Pressemitteilungen können auf diesem Wege erstellt werden und wie kann der Empfänger hier noch unterscheiden, ob der Inhalt AI-basiert ist oder von einem Menschen erzeugt wurde?
  5. Wohin werden sich Soziale Medien entwickeln, wenn ich die Zahl meine Posts pro Tag ganz locker um das zwanzigfache steigern kann? Wichtig zu wissen: auch KI kann Fake-News erzeugen.
  6. Wie können Suchmaschinen dann solche Inhalte erkennen (keine Sorge, Google arbeitet schon daran) und wie werden diese zukünftig beim Ranking berücksichtigt?
  7. Was bedeutet das für die journalistische Arbeit und für die Arbeitsplätze dort? Seien es Wirtschaftsjournalisten, Onlineredakteure oder Radiomoderatoren.
  8. Wie schreibt man zukünftig ein Fachbuch oder einen Fachartikel? Wie kommt dabei „neues Wissen“ in die Welt, denn schließlich können Chat GPT & Co. ja nur auf bestehende Informationen zurückgreifen?

Die vorgenannten Beispiele sind nur ein kleiner Ausschnitt aus den vielen Möglichkeiten und Herausforderungen, die wir erkennen bzw. die wir meistern müssen. Kondratieff wurde von den Schergen Stalins übrigens ermordet, weil er mit seinen Thesen natürlich die Planwirtschaft in Frage gestellt hat. Damals ein todeswürdiges Verbrechen. Heute dräut einem zum Glück nur ein Karriereknick, wenn man in planwirtschaftlich geführten Unternehmen und Marketingabteilungen den Mahner oder die Mahnerin gibt. Aber tun wir´s, weil es dazu keine Alternative gibt und vor allem die Geschwindigkeit und die Dramatik der Veränderungen atemberaubend sein werden. Wie formulierte es einst der große Werber David Ogilvy: „Erweitern Sie Ihr Blickfeld. Gehen Sie neue Wege. Streben Sie das Unmögliche an. Nehmen Sie den Kampf mit dem Unsterblichen auf!“

10 Erfolgsfaktoren für agiles Marketing: Teil 7 – Das Agile Manifest Teil 1: von der Kundenzentrierung bis zu „Geschwindigkeit vor Perfektion“

von Fred Geiger

Die Mehrzahl agiler Managementmethoden stammen aus der Softwareentwicklung. Erste Ansätze entwickelten sich dabei schon in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts. Im Jahr 2001 trafen sich dann eine Handvoll Softwarepioniere auf einer Konferenz im US-Bundesstaat Utah – dort wurde dann der Begriff „agile Softwareentwicklung“ geprägt und das „Agile Manifest“ formuliert. Viele der 17 Unterzeichner des Manifests haben dann in der Folge auch eigene Tools und weiterführende Theorien entwickelt, mit denen man die Prinzipien des „Agilen Manifests“ in die Praxis umsetzen kann. So stammt die vielleicht bekannteste agile Methode „SCRUM“ von Ken Schwaber und Jeff Sutherland – beide Erstunterzeichner des Agilen Manifests. Mit SCRUM werden zum Beispiel die Grundsätze „Interaktion“, „Geschwindigkeit“ und „Kundenzentrierung“ aus dem Agilen Manifest unterstützt. SCRUM wird von Schwaber und Sutherland übrigens nicht als Methode gesehen, sondern als Framework, also eine Art Grundgerüst, an das dann ganz viele bekannte und neue Methoden situativ „angedockt“ werden.

So sieht SCRUM tägliche Abstimmungsmeetings, sogenannte Daily Scrums vor, um die Interaktion zwischen den Beteiligten zu fördern und die Geschwindigkeit bei der Umsetzung eines Projekts zu steigern. In der Softwareentwicklung macht diese extrem kurze Taktung von Meetings ja auch durchaus Sinn – ist doch davon auszugehen, dass die im Team eingebundenen Softwareentwickler tatsächlich jeden Tag Fortschritte erzielen. Ein Programmierer wird nämlich schlicht in wenigen Stunden X Zeilen neuen Programmcode schreiben, sodass er von Tag zu Tag und wirklich buchstäblich die Fortentwicklung seiner Arbeit im Daily Scrum vorstellen und mit anderen abstimmen kann.

Eine direkte Übertragung der Methodik „Daily Scrum“ in die Marketingpraxis hingegen, scheint aus meiner Sicht aber nur schwer sinnvoll umsetzbar zu sein: wenn Sie gestern die Kreativagentur gebrieft haben, wird es wohl heute noch keine Ergebnisse geben. Die Umsetzung einer Mediaplanung in 24 Stunden oder die finale Abstimmung mit dem Vertrieb zu einem wichtigen Marketingthema wäre in einer derart kurzen Zeit eher ein Wunder.

Diese Beispiele zeigen, dass eine 1:1-Übertragung der agilen Methodik auf das Marketing nur begrenzt möglich ist. Die Grundprinzipien agilen Denkens und Arbeitens sind aber sehr wohl auch im Marketing gültig. Die ursprünglichen Werte und Kernthesen entstammen dabei grundsätzlich alle noch dem Agilen Manifest aus dem Jahr 2001. Denn daraus kann man die „Sieben Gebote agilen Marketings“ ableiten, die, wie die 7 Todsünden, zeitlos sind. Auch kann man sie prinzipiell unabhängig von den täglichen Herausforderungen, vom jeweiligen Geschäftsmodell oder einer speziellen Branche sehen. Allerdings sollten wir Sie für´s Marketingmanagement durchaus auch deutlich anders interpretieren, als in der Softwareentwicklung. Aus meiner Sicht gelten für das Agile Marketing daher folgende Prinzipien:

Die sieben Prinzipien agiler Marketingarbeit

DAS AGILE MARKETINGMANIFEST
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Social und Retail Ads Teil 2 – Am Anfang stehen Strategien, Ziele und die KPI´s 

von Fred Geiger

Der Siegeszug des Onlinemarketing zwingt uns durch die ungeheure Komplexität und die Dynamik der einzelnen Tools zwangsläufig zu neuen Formen der Zusammenarbeit. Die Zeiten der allwissenden Marketingentscheider, die handwerklich alle Spielarten der Marketingarbeit sicher beherrscht haben und deshalb auch im Detail sichere Entscheidungen treffen konnten, sind schon lange vorbei. Allerdings ist das noch nicht bei allen Marketingführungskräften angekommen und so ist das ebenso umfangreiche, aber eben in der Tiefe nicht ausreichende Halbwissen von Marketingmanagern in manchen Unternehmen zu einem existenzgefährdenden Problem geworden. Aus meiner Sicht manifestiert sich das wiederum in zwei Spielarten: da gibt es den „Zauderer“, der aus seiner fachlichen Unsicherheit heraus alles hinterfragt und Entscheidungen zu spät trifft. Die andere Variante ist der „Aktivist“, der schnell, stramm und falsch – aus seiner eigenen Machtvollkommenheit heraus – jeder Mode und jedem Agenturvorschlag unreflektiert folgt. Warum ich bei beiden Typen nur die männliche Form gewählt habe? Nun, leider sind es nach meiner Erfahrung meistens die Männer, die für diese Art des Denkens empfänglicher sind.

Als Rettungsanker auf dem unüberschaubaren Ozean der Möglichkeiten im Onlinemarketing bietet sich dann scheinbar völlig selbstlos unsere „Full-Service-Agentur“ an. Diese überzeugt allzu leicht die Marketingverantwortlichen davon, dass sie tatsächlich alle Formen des Onlinemarketing auf höchstem Niveau gleich gut beherrscht. Deshalb lässt sie sich gerne vollumfänglich die Planung von Kampagnen inklusive dem Controlling derselbigen übertragen. Das ist ebenso bequem wie fatal, denn unter Compliancegesichtspunkten ist es schlicht inakzeptabel, dass ein Dienstleister die für uns geleistete Arbeit in Sachen Kosten und Effizienz quasi selbst bewertet. Aber was ist die Lösung aus dieser fatalen Abhängigkeit – gerade dann, wenn man im Marketing einfach nicht über die detaillierte Expertise verfügt und es einem an ausreichender Man-/Womanpower fehlt?

Da gilt es sich zunächst anders zu organisieren – agiles Marketing ist hier das Zauberwort. Das bedeutet aber nicht, dass wir nur ein anderes Organigramm der Marketingabteilung benötigen oder ein paar neue Methoden wie Scrum, Design Thinking oder Kanban ausprobieren. Es bedeutet vor allem, dass wir wirklich teamorientiert arbeiten und uns vor allem viel stärker vertrauen. Am Ende steht ein völliger Kulturwandel in der Art und Weise wie wir im Marketing arbeiten. Aber bis dahin ist es in den meisten Unternehmen noch ein weiter Weg. Ein Beispiel ist für mich die Forderung von Elon Musk bei Tesla doch bitte wieder zu 40 Stunden Büropräsenz zurückzukehren und die Arbeit im Homeoffice doch bitteschön noch additiv zu leisten.

Wenn Sie auch Ihr Unternehmen in den ersten drei Absätzen wiedererkennen, was ist dann ein sinnvoller und pragmatischer Weg aus dieser Misere? Es ist die Rückbesinnung auf die fundamentalen Aspekte, sprich die Klärung der strategischen Fragen, der Ziele und der KPI´s meiner Onlinekampagnen. In unserem Fall: Was will ich und wen will ich zu welchem Zeitpunkt mit den mir zur Verfügung stehenden Ressourcen erreichen?

Die grundsätzlichen Strategien basieren dabei immer auf drei Faktoren:

Strategische Erfolgsfaktoren – Raum, Zeit und Kräfte

Für die Planung, zum Beispiel einer Social Ads Kampagne in Facebook, Insta, Youtube oder Twitter, wäre das u.a. die Definition der zeitlichen Sensibilität meiner Interessenten und Leads für meine Produkte. So werde ich als Reiseanbieter klären, wann die Entscheidungsprozesse für einen Sommerurlaub schwerpunktmäßig reifen, als Hersteller von Elektrowerkzeugen für das Handwerk ist vielleicht das Monatsende ein idealer Zeitraum die User anzusprechen oder als Spirituosenhersteller ist der Samstagabend von 18:00 Uhr bis 20:00 Uhr perfekt, um in Sozialen Medien Werbung auszuspielen. In der Fachsprache heißt dieser Faktor Saisonalität.

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Social und Retail Ads – warum der Werbung in Facebook, Instagram, Amazon & Co. die Zukunft gehört: Teil 1 – Die Krise der Werbung, wie wir Sie bisher kannten

von Fred Geiger

Gerhard Schröder, Bundeskanzler von 1998 bis 2005, also just in der Zeit, die den Beginn der Digitalen Marketingrevolution markiert, traf einmal die Aussage, dass er zum Regieren nur „Bild, BamS und Glotze bräuchte“. Mag dieser Satz in dieser Absolutheit vielleicht niemals wirklich zutreffend gewesen sein, er enthielt doch einen wahren Kern: So erreichte die Bildzeitung, mit einer verkauften Auflage von über 4 Mio. Exemplaren und einer Leserschaft von über 12 Mio. Menschen im Jahr 2000, noch jeden fünften Wahlberechtigten in Deutschland. Und noch vor wenigen Jahren lag die Reichweite des linearen Fernsehens in der Bevölkerung ab 14 Jahren auf Tagesbasis noch bei über 90 %, und das in praktisch allen Altersklassen und Bevölkerungsgruppen. Da sich sinnvoller Weise die Mediaausgaben an den Medianutzungsgewohnheiten der Zielgruppen orientieren sollten, war Mediaplanung noch vor 10 Jahren generell kein „Hexenwerk“ (im Detail allerdings immer schon anspruchsvoll). Wenn man ausreichende Budgets zur Verfügung hatte, konnte man mit einem TV-lastigen Mediaplan mit zeitlichem Schwerpunkt in der Prime-Time (im TV ist das die Zeitschiene von 20:00 Uhr bis 22:00 Uhr) eigentlich keinen großen Fehler machen, wenn es darum ging bundesweit und in breiten Zielgruppen Bekanntheit, Image und Kaufbereitschaft für seine Marke zu schaffen. Ergänzt durch Anzeigenschaltungen in den großen Zeitschriften wie Stern (noch im Jahr 2005 mit über einer Millionen verkaufter Exemplare pro Woche), Bunte, Spiegel oder Focus. Dazu noch einige überregionale und regionale Zeitungen, „et voilà“ – fertig war der perfekte Mediaplan.

Diese Zeiten haben sich geändert und zwar in einer Dramatik und Geschwindigkeit, die auch ich nicht für möglich gehalten hätte: die Bildzeitung hat im Jahr 2022 die Schallgrenze von nur noch 1 Mio. verkauften Exemplare durchbrochen, die einstmals auflagenstärkste Zeitschrift Deutschlands, der „Stern“ von Gruner & Jahr, verkauft heute nur noch kümmerliche 350.000 Exemplare pro Woche und die tägliche Reichweite des linearen Fernsehens liegt bei der Generation Z (den um die Jahrtausendwende Geborenen) bei nur noch 23 %. Auch sind die Auflagen der Tageszeitungen (inklusive übrigens auch der digitalen Ausgaben) massiv geschrumpft und während bei der „Generation Ü50“ noch 75 % der Menschen eine Tageszeitung lesen, sind es bei „U 25“ nur noch 25 %.

AUFLAGE TAGESZEITUNGEN IN DEUTSCHLAND SEIT DEM JAHR 2000 in Mio. Exemplaren/Tag

Wenig erstaunlich ist hingegen der Aufstieg der Onlinemedien: 2005 noch der ungeliebte „Wurmfortsatz“ der Mediaplanung mit einem Anteil am Werbemarkt von vielleicht 3 % oder 4 % (so genau hat sich damals dafür niemand interessiert), ist „Online“ seit 2019 größter Werbeträger in Deutschland und in 2022 sieht der Online Bereich die TV-Werbung (über Jahrzehnte das mit Abstand größte Werbemedium) nur noch „im Rückspiegel“.

ENTWICKLUNG ONLINEWERBEMARKT

Die Mediennutzung hat sich also deutlich und unumkehrbar verändert. Um so erstaunlicher ist aber die relative Stabilität klassischer Medien, wenn es um die Verteilung von Werbegeldern geht, denn die revolutionären Veränderungen in der Mediennutzung spiegeln sich in der Verteilung der Werbespendings durch die Werbungtreibenden nur bedingt wieder. Wenn wir den sichtbaren Rückgang der Ausgaben im Printbereich einmal außen vorlassen und die klassische Onlinewerbung (also die Buchung von Displaywerbung nach Preisliste) dem klassischen Mediabereich zuschlagen, hat sich erstaunlich wenig getan: wir reden dann nach wie vor von etwa 20 Mrd. Bruttomediaspends für klassische Werbung.

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10 Erfolgsfaktoren für agiles Marketing: Teil 6 – Vom kurz getakteten Controlling bis zur agilen Mediaplanung

von Fred Geiger

Warum Sie Ihr Controlling dramatisch beschleunigen, aber dabei pragmatisch sein müssen und weshalb es richtig ist auch bei zahlreichen Unwägbarkeiten und Unschärfen schnelle Entscheidungen zu treffen.

Das moderne Marketing wurde von Pionieren wie Peter Drucker oder Philip Kotler im Amerika der Nachkriegszeit begründet. In den darauffolgenden rund 60 Jahren ist dabei dann aber weit weniger passiert, als innerhalb der letzten 10 Jahren. Die schiere Menge, wie auch die Schlagzahl der Veränderungen zwingt uns deshalb, auch in der Marketingarbeit, sei es strategisch, sei es operativ zunehmend schneller und flexibler Entscheidungen zu treffen. Die neue Marketingwelt ist dabei VUKA, also geprägt durch:

V olatilität, sich ständig verändernde Rahmenbedingungen

U nsicherheit, die auch bereits unterjährige Planungen zu Makulatur machen

K omplexität, durch die ständige Zunahme der Zahl von Entscheidungsparametern

A mbiguität, der Mehrdeutigkeit von Informationen und Ergebnissen.

In einem solchen Umfeld ist es natürlich nicht besonders klug eisern an einem 5-Jahres-Plan festzuhalten (es ist sogar eine Sünde einen solchen überhaupt zu schreiben). Auch der betriebswirtschaftliche Quartalsbericht aus dem Controlling hat eher informativen Charakter, als dass er eine sinnvolle Grundlage für Entscheidungen im Tagesgeschäft der Marketingarbeit sein kann. Kurzum: wenn die Welt sich um uns herum schneller dreht und immer mehr Variable berücksichtigt werden müssen, dann sollte sich unser Marketing einerseits von den Fesseln planwirtschaftlicher Lethargie befreien, muss aber andererseits Entscheidungen nicht nur schneller, sondern auch stärker faktenbasiert treffen. Dazu benötigen wir wiederum dann auch zwingend ein schnelleres faktenbasiertes Controlling- und Feedbacksystem mit viel enger getakteten Meilensteinen.

Hierbei gilt es zwei Herausforderungen zu meistern: Erstens müssen wir mit einem gewissen Verlust an Genauigkeit leben („lieber ungefähr richtig, als absolut falsch“), aber dennoch zahlen- und faktenorientiert handeln („was ich nicht messen kann, kann ich nicht steuern und was ich nicht steuern kann, kann ich nicht verbessern“). Zum Zweiten gilt es die Vorgesetzten, Kollegen und Mitarbeiter davon zu überzeugen, dass eine zum Teil tägliche! Steuerung von Marketingmaßnahmen, keine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die Controllingabteilung unserer Firma darstellt. Auch ist das nicht ein Ausdruck von Misstrauen gegenüber den Kollegen, die dann in einen orwell´schen Überwachungsstaat befürchten. Ein neues Controlling- und Feedbacksystem ist vielmehr eine zwingende Notwendigkeit, um unser Marketing vor dem Hintergrund der bestehenden und noch kommenden revolutionären Veränderungen zukunftssicher zu gestalten.     

Stellen wir uns folgendes Szenario vor: Sie sind ein Hersteller von Computerdruckern und führen zur wichtigsten Branchenmesse im Februar einen neuen Laserdrucker im Markt ein. Sie planen, nach erfolgreicher Listung im Handel, Anfang Mai eine Endverbraucherkampagne mit einem Schaltvolumen von über 10 Mio. €, bei Produktionskosten von 1 Mio. €. Entgegen Ihrer Erwartungen ist der Markt in der Nachcoronazeit jetzt aber doch rückläufig und auf der Messe hat der Marktführer HP eine völlig neue Reihe von Druckern vorgestellt – auch damit haben Sie nicht gerechnet. Wie schaffen Sie es diese neue Faktenlage in Ihrem Marketingplan zu berücksichtigen? Die erste Voraussetzung hierfür ist die Etablierung einer schnellen, professionellen und pragmatischen Controllingsystematik, die es uns ermöglicht Risiken in angemessener Weise zu berücksichtigen, aber eben auch Chancen schnell zu erkennen und diese zu nutzen. 

Schritt 1: Listungschancen abschätzen

Wenn wir über den Handel verkaufen macht Endverbraucherwerbung natürlich nur Sinn, wenn unsere Produkte im Handel auch verfügbar sind. Die Voraussetzung hierfür ist wiederum die Listung beim Handel. Wie könnten wir hier vorgehen?

Bereits auf der Messe könnten wir bei unseren Gesprächen mit Einkäufern, die Marktchancen unseres neuen Druckers abfragen und vom Vertrieb eines sogenannten Listungsspiegel erstellen lassen. Dieser hat folgende Systematik:

Listungsspiegel Listungschancen bewerten

Direkt nach der Messe, werden dann Gespräche mit den Entscheidern des Handels fixiert. Hier geht es darum, wie schnell die Folgetermine vereinbart werden können und wie die zuständigen Vertriebsmitarbeiter die weiteren Listungschancen bei den jeweiligen Händlern einschätzen.

Last but not least folgt der Rütlischwur: welcher der Händler hat uns in sein Sortiment aufgenommen. Es geht dabei sowohl um die numerische als auch um die gewichtete Listung. Erst wenn uns beide Kennziffern ausreichend erscheinen, wird die, ja durchaus kostenintensive Werbemittelproduktion für unsere Endverbraucherkampagnen beauftragt.

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10 Erfolgsfaktoren für agiles Marketing: Teil 5 – Die Grundprinzipien der agilen Marketingarbeit von der Einfachheit bis zur Holokratie

von Fred Geiger

Warum die Antwort auf eine immer komplexere und immer weniger planbare Marketingwelt mit letztendlich völlig unsicherer Zukunft ausgerechnet Einfachheit und Prinzipientreue ist.

Agiles Marketing ist, worauf ich schon in meinen früheren Artikeln schon hingewiesen habe, die vielleicht einzig sinnvolle Antwort auf die neue Komplexität im Marketing, die zudem noch mit einer unsteten, dynamischen und zum Teil auch chaotischen Weiterentwicklung der Märkte und der Marketinginstrumente einhergeht. Agiles Marketing bietet uns dort Lösungen an, wo wir mit klassischer Marketingmethodik scheitern oder in naher Zukunft ganz sicherlich scheitern werden. Ein Beispiel: Früher bot uns die Preisliste des „Stern“ etwa 10 verschiedene gängige Anzeigenformate an, heute gibt es allein über 100 Standardwerbemittel für Displayanzeigen im Web, vom Full-Size Banner, über den Hockeystick und den Medium-Size-Rectangle bis hin zum Banderole Ad. Während wir uns früher über den Impact einer Doppelseite im Vergleich zum 1/1 Format mit unseren Kollegen und den Agenturen wie die Kesselflicker gestritten haben (schließlich ging es ja auch um Mehrkosten für die Doppelseite im Bereich der Anschaffungskosten für ein Auto der gehobenen Mittelklasse), ohne zu einer fachlich wirklich fundierten Entscheidung zu kommen, können wir heute durch KI-Lösungen den Erfolg von Onlinekampagnen vermeintlich präzise messen. Bis wir uns dann in die Vielfalt der Informationen vertiefen und dann doch an Begriffen wie der Viewability und einer seriösen Beurteilung der Brand Safety unserer Werbeausspielungen scheitern. Die auf den ersten Blick verblüffende Antwort auf diese Herausforderung ist schlicht: Einfachheit und Prinzipientreue. Nur müssen Sie das auch Vorgesetzten, Kollegen und Mitarbeitern klar machen.

Vielleicht führen Sie im Freundes- und Verwandtenkreis rege politische Diskussionen und ganz sicher fiel dort auch schon der Satz, dass „die Populisten deshalb so gefährlich sind, weil sie auf die komplexen Probleme der Welt vermeintlich einfache Antworten hätten“, so zumindest Ihre Nichte Anne-Sophie, die dafür im weiten Rund der Familienfeier augenblickliche Zustimmung erntete. Dabei ist diese Aussage schlicht falsch: warum ist nur Alexander der Große auf die simple Lösung gekommen den gordischen Knoten mit dem Schwert zu zerschneiden, warum wurde der Container erst vor gut 50 Jahren erfunden, warum basieren viele der erfolgreichsten Werbekampagnen der Geschichte auf nur einer einzigen Idee oder warum sind die 10 Gebote (mit nur 297 Wörtern) die Basis zweier Weltreligionen? Lassen Sie sich also von Beratern, vermeintlichen Marketinggurus oder von Agenturgeschäftsführern (die allesamt ein Interesse haben die Welt als unfassbar kompliziert darzustellen) nicht ins Bockshorn jagen: Simplizität und die Aufstellung und Einhaltung einiger grundlegenden Prinzipien sind die wichtigsten Erfolgsfaktoren im Marketing der Zukunft. Anders ausgedrückt: auch das agile Marketing kennt so etwas wie die 10 Gebote, von denen ich die ersten fünf in diesem Artikel näher beleuchten werde:

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10 Erfolgsfaktoren für agiles Marketing: Teil 4 – Was müssen Führungskräfte mitbringen?

Warum ein Bemühen um Authentizität, der Mut einander zu Vertrauen und ein Höchstmaß an Fairness und Transparenz das Fundament sind, auf dem erfolgreiches agiles Marketing gelingt

„Agil“ steht im Lateinischen für Begriffe wie beweglich, flink und reaktionsschnell. Gerade im Marketing sind es diese Eigenschaften, die immer schon, vor allem aber in Zukunft erfolgreiche Unternehmen von den nicht erfolgreichen unterscheiden. Zwei Gründe sind meiner Meinung nach hierfür ausschlaggebend: einer ist der immer schärfere Sturm des Wettbewerbs, der uns in einer globalisierten Wirtschaft ins Gesicht bläst. Ein anderer Faktor ist die Digitalisierung, die das Marketing mit voller Wucht erfasst hat. Das digitale Marketing hat dabei nicht nur eine ungeheure Vielzahl neuer Marketingtools und damit mehr Komplexität geschaffen, es ist auch ein viel dynamischeres Instrumentarium: So wurde Google erst 1998 gegründet, das IPhone im Jahr 2007 vorgestellt und im Markt eingeführt und das Volumen der Onlinewerbung in Deutschland hat sich innerhalb von 15 Jahren verzwanzigfacht und ist damit zum größten Werbeträger in Deutschland avanciert.

5-Jahres-Marketingpläne, in Stein gemeißelte Mediakampagnen, beamtenähnliche Zuschnitte von Stellenbeschreibungen und der Glaube, dass Führungskräfte zu allen Marketingthemen fachlich fundierte Entscheidungen treffen können, sind hierauf keine sinnvolle Antwort mehr. An agilen Denk- und Arbeitsweisen führt im Marketing deshalb kein Weg mehr vorbei.

Das führt aber zwangsläufig zu einem tiefgreifenden Wandel in Sachen „Führungskultur“, denn Agiles Marketing ist keine Modeerscheinung, sondern eine zwingende Notwendigkeit für die erfolgreiche Gestaltung der Zukunft von Unternehmen, sprich Agiles Marketing ist gekommen, um zu bleiben. Aber was macht diesen notwendigen Wandel auch erfolgreich, der beide Welten, die der klassischen hierarchischen Strukturen in den Unternehmen und die der agilen Arbeits- und Entscheidungsstrukturen berücksichtigen muss?

Wir brauchen hierfür zunächst starke, statt schwache Führungskräfte auf den ersten beiden Ebenen der Unternehmensführung. Damit verbunden auch eine vielfältige, dynamische, authentische und faire, statt einer verarmten Führungskultur in der gesamten Organisation. Insofern ist der agile Wandel „Chefsache“, der Top-Agenda-Punkt für die Geschäftsleitung, eine ureigenste unternehmerische Aufgabe….  

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10 Erfolgsfaktoren für agiles Marketing: Teil 3 – So erstellen und steuern Sie ein agiles Marketingbudget

von Fred Geiger

Wie man Marketingbudgets flexibel, pragmatisch und „Data driven“ erstellt und mit geringem oder zumindest überschaubarem Erstellungs- und Controllingaufwand durch die wilden, immer wieder überraschenden und vermeintlich auch unplanbaren Untiefen des Marktes steuert.

Als ich im Frühjahr 2020 meine Auftragslage einschätzte und einen Blick auf die nächsten Monate warf, war ich optimistisch und erwartete im zehnten Jahr hintereinander ein signifikantes Wachstum. Vier Monate später habe ich dann das erste mal in meinem Leben als Selbständiger eine monatliche Mehrwertsteuerrückerstattung erhalten (sprich: meine Ausgaben haben meine Einnahmen übertroffen) und ich habe, wie viele Selbständige, Künstler, Gastronomen und kleine/mittelständische Unternehmer in den sofortigen Krisenmodus geschaltet und zum Beispiel ausgerechnet, wie lange meine Reserven wohl reichen würden. Jetzt am Ende dieses ereignisreichen Jahres blicke ich wiederum auf ein absolutes Rekordjahr zurück, was meine Einnahmen anbelangt. Ins neue Jahr starte ich deshalb mit viel Dankbarkeit darüber, wie viel Glück ich hatte und mit einem guten Vorsatz, nämlich dem, dass ich keine Prognosen mehr wagen werde. Verbunden allerdings auch mit der Hoffnung, das meine Themen für Seminare und Beratungsaufträge grundsätzlich die richtigen sind und vom Markt weiterhin nachgefragt werden. Außerdem in der Überzeugung, dass meine Strategien und Methoden hierfür auch in einer mittleren und fernen Zukunft tragfähig sind und bleiben werden.

Sie meinen jetzt vielleicht – „Corona, das war nicht abzusehen“. Dabei kann, wie der große Karl Popper es einmal ausdrückte immer „ein schwarzer Schwan auftauchen“, sprich ein völlig außergewöhnliches Ereignis, dass alles Wissen, viele Werte und zahlreiche und solide Erfahrungen in Zweifel zieht oder gar ad absurdum führt. Auch die jüngere Geschichte ist voll von solchen Ereignissen.

Sie sind vielleicht der Überzeugung – „Corona hat kerngesunde Unternehmen mit langfristig guten Zukunftsprognosen ruiniert“. Ich halte dem entgegen, dass im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts die vierte industrielle digitale Revolution uns immer mehr zwingt „auf Sicht zu fahren“, weil wir nicht wissen, was uns hinter der nächsten Kurve erwartet. Corona war und ist aus meiner Sicht nur das Brennglas, das uns diese Notwendigkeit, in zum Teil sehr schmerzvoller Weise, wieder ins Bewusstsein gerufen hat. Die Basis langfristiger wirtschaftlicher Potenz und Prosperität, ganz egal in welcher Branche, bleiben die richtigen Themen – sprich die Geschäftsmodelle. Die Leitplanken auf der stets kurvigen, oft steilen, ab und zu auch abschüssigen und häufig rutschigen Straße zum Erfolg, bleiben die richtigen Strategien. Starre Planungsprozesse hingegen gehören aber endgültig der Vergangenheit an und mit planwirtschaftlichen Budgetierungs- und Prognoseprozessen werden wir die Zukunft nicht mehr gestalten können.

„Prognosen sind eben nur Vermutungen mit Hochschulbildung“, wie es der frühere US-Präsident Jimmy Carter einmal ausdrückte und das Auftauchen „Schwarzer Schwäne“ mendelt meist diejenigen Unternehmen aus, deren Geschäftsmodelle und deren Strategien langfristig sowieso nicht funktioniert hätten. Es gilt sich also strategisch gut aufzustellen und dies mit hoher operativer Flexibilität zu kombinieren. Das gilt vornehmlich für Unternehmensbereiche wie das Marketing und hier wiederum die agile Strukturierung von Marketingbudgets ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Wie das gehen könnte, will ich Ihnen an folgendem praxisnahen Beispiel zeigen.

Rahmenbedingungen eines agilen Marketingbudgets Premeon

Sie stellen sich vor, dass Sie Marketingmanager bei einem Hersteller von Computerdruckern sind. Heute geht es in einer Sitzung um den Marketingplan „Marketingjahr 1“ für eine innovative Druckerreihe mit dem Namen „Bazoona“, für die Sie Marketingmanager/in sind. Jetzt Ende Oktober sind wir mitten in der finalen Budgetphase des Unternehmens. Sie haben bereits Ihr Marketingbudget eingereicht: es soll bei einem geplanten Umsatz von etwa 80 Millionen für die Marke Bazoona auf einem „Advertising to Sales Ratio“ von 8 % aufbauen, d.h. Sie planen mit 6,4 Mio. € Marketingbudget. In der irrigen Annahmen, dass diese Budgethöhe bereits genehmigt ist, betreten Sie jetzt den Raum und zwar im festen Glauben, dass dieses Budget logisch und nachvollziehbar ist, sowie bewaffnet mit einer 42-seitigen Powerpointpräse in der Sie die wichtigsten Maßnahmen bereits ausgearbeitet haben. Anwesend sind übrigens, neben ihrer Wenigkeit auch der Geschäftsführer Dr. Bernhard Bierbichler, der Technikchef Horst Siegert, die kaufmännische Leiterin Ophelia Benett sowie der Vertriebschef Markus Schneidig. Was Sie nicht wissen: Schneidig hat mit Bernhard Bierbichler in der letzten Woche einige wichtige Kunden besucht und Dr. Bierbichler hat „kalte Füße bekommen“ und wird heute das Budget in Frage stellen.

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10 Erfolgsfaktoren für agiles Marketing: Teil 2 – Agile Budgetierung als zentraler Steuerungsmechanismus

von Fred Geiger

Warum klassische Budgetierungsmethoden planwirtschaftliches Denken und sklerotische Tendenzen in Unternehmen fördern aber agile Budgetierungsmethoden verkrustete Denkweisen aufbrechen und den Teamgeist beflügeln können

Agile Strukturen in Unternehmen zu schaffen bedeutet, dass wir einerseits Hierarchien schleifen und damit zunächst Friktionen aus dem System immer komplexerer Marketingprozesse nehmen. Auch wird die Autonomie von Teams gefördert und Entscheidungen werden zum Glück zunehmend dort getroffen, wo die fachliche Kompetenz liegt. Der Preis dieser an sich begrüßenswerten Entwicklung ist aber die Vervielfachung von parallel laufenden Projekten. Das ist aber in einer agilen Organisation zwingend notwendig: Schließlich werden wir nur dadurch schneller.

Die Gefahren sind hierbei aber eine mögliche Verselbstständigung dieser Projekte, eine falsche Zuteilung von Ressourcen und damit verbunden eine Gefahr für die einheitliche und klare Markenwahrnehmung seitens unserer Kunden und Leads. Auch wenn es manchem Apologeten der neuen „Agil-Bewegung“ nicht gefällt: Die Führung einer Marke ist eine kompromisslose und gnadenlos diktatorische Angelegenheit und steht damit per Definition zunächst einmal im Widerspruch zum agilen Ansatz. Trotzdem kann man das eine tun (agiles Marketing betreiben), ohne das andere (unzweideutige Markenführung leben) bleiben zu lassen.

Ein Schlüssel hierfür ist eine neue Arbeitsorganisation und -kultur, ein anderer die Steuerung von Komplexität über flexible und atmende Budgets. Mit Ersterem werde ich mich in einem der folgenden Artikel beschäftigen, Letzteres ist aber einfach und schnell umsetzbar, ohne vorher zwangsläufig die Herkulesaufgabe der agilen Transformation hinter sich gebracht zu haben. Kurzum: Agile Budgetierung ist nur ein erster Schritt zu einem wahrlich agilen Marketing, aber eben auch eine pragmatische Lösung, um schnell erste agile Erfolge zu erzielen.

Dazu müssen wir uns zunächst einmal damit beschäftigen, wie Budgets sinnvoll und dem Ziel dienend ermittelt werden können. Dafür gibt es in der betrieblichen Praxis eine Reihe von Ansätzen, die auf den ersten Blick je nach Unternehmens- und Wettbewerbssituation auch sinnvoll erscheinen:

  • Kontinuitätsansatz
    • Es wird der Wert der Vergangenheit fortgeschrieben und allenfalls um eine Variable wie Kostensteigerung bei Werbe- und Medialeistungen korrigiert.
  • Kompetitivitätsansatz
    • Es wird der Wettbewerb in Share of Advertising (einfacher) oder Share of Voice (komplexer) als Maßstab für die eigenen Aktivitäten herangezogen. Das bedarf seriöser Schätzungen über die Werbeausgaben des Marktes bzw. des Konkurrenten, den man sich als Benchmark auserkoren hat. Solche Zahlen können über gekaufte Marktforschung (z B. den Daten der Nielsen Werbemarktforschung) und/oder über gute Kenntnisse der Kosten für Kommunikationsmaßnahmen oft erstaunlich präzise ermittelt werden. Am Beispiel: unser Wettbewerber gibt etwa 4 Mio. € für Werbemaßnahmen aus und wir machen nur halb so viel Umsatz wie dieser. Ergo liegt unser Budget bei ca. 2 Mio. €. 
  • „All you can afford“-Ansatz
    • Wir geben das aus, was wir uns (maximal) leisten können. Hier erhalten dann Marketing und PR die „Brosamen“, die nach dem Beschluss der Geschäftsführung noch für „Reklame“ übrig bleiben. Das mag bizarr anmuten, ist aber in kleineren oft inhabergeführten Unternehmen durchaus gängige Praxis.
  • „Prozent-von“-Ansatz
    • Wir orientieren uns an einer internen Variablen (Umsatz, Absatz, Nettoerlös …). Hier werden dann die Kommunikationsausgaben zu einem Teil der Produktkalkulation, wie die Rohstoffe oder die Arbeitslöhne.
    • Gängig ist hier auch das Modell „A/S-Ratio“ (Advertsing to Sales Ratio) auch ROAS (Return on Advertising Spend) genannt. Konkret: Unser Budget wird als Prozentsatz vom (Plan-)Umsatz ermittelt.
  • Kommunikationszielorientierter Ansatz
    • Wir ermitteln das Budget nach Kommunikationszielen und justieren die Ziele, wenn keine Budgetdeckung erreicht wird
    • Bei Markenartiklern ist hier die Orientierung am „Markendreiklang“ üblich.

Die wesentlichen Unterschiede zwischen diesen Budgetierungsansätzen liegen darin, dass es dabei „offensive“ und „opportunistische“ gibt. Diese haben unterschiedliche Vor- und Nachteile.

So wird ein offensiver kommunikationszielorientierter Budgetansatz hoffentlich zur Erreichung von Bekanntheits- und Kaufbereitschaftszielen führen. Wenn wir aber, aus welchen Gründen auch immer, die Umsatz- und Ertragsziele nicht erreichen, stellt diese Vorgehensweise ein erhebliches wirtschaftliches Risiko dar. Wenn ich mich hingegen ständig an den Ausgaben meines Wettbewerbers orientiere, werde ich damit ein Budget mit hoher Planbarkeit schaffen. Aber wie will ich dann, rein sachlogisch, gegenüber dem Wettbewerber aufholen?

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10 Erfolgsfaktoren für agiles Marketing: Teil 1 – Warum uns das neue Denken so schwerfällt

von Fred Geiger

Warum wir in einem sich rasant verändernden Marketing Hierarchien und Prozesse völlig neu denken müssen und warum die Hürden dafür so hoch sind

Wenn ich ganz ehrlich meine Überzeugung an den Anfang dieser Artikelreihe stelle: Agiles Marketing ist in vielen Unternehmen häufig nur eine Phrase für die viele Mitarbeiter und Führungskräfte Begeisterung heucheln. Es fehlt aber häufig die innere Überzeugung. Man hofft insgeheim, dass sich dieses Thema als modisch erweist und sich dadurch erledigt, weil demnächst hoffentlich eine „neue Sau durch´s Dorf getrieben wird“, z. B. in Form einer neuen Managementmethode aus den USA, die auf das hierarchisch-strukturierte Denken wieder Lobgesänge anstimmt. Auch wollen Mitarbeiter, entgegen der letzten Befragung der Personalabteilung, häufig gar nicht mehr Verantwortung tragen und ausüben. Vorgesetzte, vor allem aus der mittleren Managementebene hingegen befürchten einen nie dagewesenen Bedeutungs- und Statusverlust. Nicht zuletzt empfinden sich viele Menschen in diesem Tsunami in Sachen Marketingarbeit eher als „Betroffene“ und nicht als „Beteiligte“. Insgesamt hat agiles Marketing aus meiner Sicht deshalb zunächst einmal ganz schlechte Karten, wenn es darum geht die Köpfe und Herzen der Marketeers gleich welcher hierarchische Ebene zu erobern. Ein trostloses Scheitern dieser Bewegung, Haltung, Denkweise, Organisationsform oder wie immer man agiles Marketing auch bezeichnen will, ist also durchaus möglich. Das macht mir deshalb Angst (und auch das ist meine Überzeugung), weil es im Marketing der Zukunft zum agilen Denken und Handeln keine Alternative gibt. Dabei hat man im Marketing der Gegenwart und der Vergangenheit bereits schon viele Chancen durch fehlende Agilität vergeben oder der eine oder andere Missgriff wäre zu vermeiden gewesen. Warum fällt uns aber diese so logische wie zwingende Transformation trotzdem so ungeheuer schwer?

Verlust von Sicherheit und Karrieremöglichkeiten

Ein erster Grund, warum uns agiles Handeln so viel abverlangt, ist die Verlustangst, die viele von uns umtreibt. Ich selbst zum Beispiel bin in der komfortablen Situation, die Sie vielleicht aus dem Freundes- und Bekanntenkreis kennen: ausgerechnet diejenigen, die schon ausgiebige Urlaube auf allen Kontinenten gemacht haben, predigen jetzt Enthalt- und Achtsamkeit und erheben die Bahnreise in den Bayerischen Wald zur ultimativen Urlaubsidee und zum Maximalstandard für sich selbst und vor allem auch für alle anderen. Und diejenigen, die sich aufgrund ihrer guten Einkommen schicke Wohnungen und Lofts in den Innenstädten in hippen Stadtvierteln leisten können, wollen das Auto aus den Städten verbannen und fordern stattdessen die Einrichtung von Fahrradautobahnen. Ähnlich verhält es sich oft mit den Apologeten der neuen agilen Marketingorganisation, seien es die zahlreichen Berater oder die Vertreter des Topmanagements. Sind doch beide Gruppen am Wenigsten davon betroffen oder profitieren sogar davon. So fällt es auch mir leicht nur die Sonnenseite der agilen Transformation zu sehen. Denn ich zähle, trotz bereits vieler Jahre Selbständigkeit, zu den Profiteuren des „alten Systems“, weil ich (durchaus auch heute noch) viele Aufträge meinem sichtbaren, in Titeln und organisatorischen Positionen dokumentierten hierarchischen Aufstieg in der Vergangenheit zu verdanken habe. Insofern kann ich leicht die Weltrevolution fordern, bin ich von ihr doch nicht mehr betroffen. Aber ich kann trotzdem auch die Sorgen und Verlustängste verstehen, die Menschen im agilen Wandel umtreibt, weil hierarchische Ebenen geschleift werden und damit Aufstiegschancen, verbunden mit Titeln, Geld und den sichtbaren Insignien der Macht, für Mitarbeiter verloren gehen. Und Hand auf´s Herz: kennen Sie auch nicht viele Kollegen, die eben keine zusätzliche Verantwortung übernehmen wollen, weil sie sich in ihrem Kästchen im Organigramm des Unternehmens und ihrer klar definierten Stellenbeschreibung über viele Jahre hinweg bequem eingerichtet haben? Das bestehende System mit seinen Menschen ist deshalb der natürliche Feind der agilen Organisation, der agilen Prozesse und sogar des agilen Denkens. Das kann man bedauern, man muss es vor allem aber auch verstehen, weil es zutiefst menschlich ist.

Premeon Agiles Marketing Hürden für Mitarbeiter und Führungskräfte
Agiles Marketing – es gibt Hürden für Mitarbeiter und Führungskräfte
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