10 Erfolgsfaktoren für agiles Marketing: Teil 6 – Vom kurz getakteten Controlling bis zur agilen Mediaplanung


von Fred Geiger

Warum Sie Ihr Controlling dramatisch beschleunigen, aber dabei pragmatisch sein müssen und weshalb es richtig ist auch bei zahlreichen Unwägbarkeiten und Unschärfen schnelle Entscheidungen zu treffen.

Das moderne Marketing wurde von Pionieren wie Peter Drucker oder Philip Kotler im Amerika der Nachkriegszeit begründet. In den darauffolgenden rund 60 Jahren ist dabei dann aber weit weniger passiert, als innerhalb der letzten 10 Jahren. Die schiere Menge, wie auch die Schlagzahl der Veränderungen zwingt uns deshalb, auch in der Marketingarbeit, sei es strategisch, sei es operativ zunehmend schneller und flexibler Entscheidungen zu treffen. Die neue Marketingwelt ist dabei VUKA, also geprägt durch:

V olatilität, sich ständig verändernde Rahmenbedingungen

U nsicherheit, die auch bereits unterjährige Planungen zu Makulatur machen

K omplexität, durch die ständige Zunahme der Zahl von Entscheidungsparametern

A mbiguität, der Mehrdeutigkeit von Informationen und Ergebnissen.

In einem solchen Umfeld ist es natürlich nicht besonders klug eisern an einem 5-Jahres-Plan festzuhalten (es ist sogar eine Sünde einen solchen überhaupt zu schreiben). Auch der betriebswirtschaftliche Quartalsbericht aus dem Controlling hat eher informativen Charakter, als dass er eine sinnvolle Grundlage für Entscheidungen im Tagesgeschäft der Marketingarbeit sein kann. Kurzum: wenn die Welt sich um uns herum schneller dreht und immer mehr Variable berücksichtigt werden müssen, dann sollte sich unser Marketing einerseits von den Fesseln planwirtschaftlicher Lethargie befreien, muss aber andererseits Entscheidungen nicht nur schneller, sondern auch stärker faktenbasiert treffen. Dazu benötigen wir wiederum dann auch zwingend ein schnelleres faktenbasiertes Controlling- und Feedbacksystem mit viel enger getakteten Meilensteinen.

Hierbei gilt es zwei Herausforderungen zu meistern: Erstens müssen wir mit einem gewissen Verlust an Genauigkeit leben („lieber ungefähr richtig, als absolut falsch“), aber dennoch zahlen- und faktenorientiert handeln („was ich nicht messen kann, kann ich nicht steuern und was ich nicht steuern kann, kann ich nicht verbessern“). Zum Zweiten gilt es die Vorgesetzten, Kollegen und Mitarbeiter davon zu überzeugen, dass eine zum Teil tägliche! Steuerung von Marketingmaßnahmen, keine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die Controllingabteilung unserer Firma darstellt. Auch ist das nicht ein Ausdruck von Misstrauen gegenüber den Kollegen, die dann in einen orwell´schen Überwachungsstaat befürchten. Ein neues Controlling- und Feedbacksystem ist vielmehr eine zwingende Notwendigkeit, um unser Marketing vor dem Hintergrund der bestehenden und noch kommenden revolutionären Veränderungen zukunftssicher zu gestalten.     

Stellen wir uns folgendes Szenario vor: Sie sind ein Hersteller von Computerdruckern und führen zur wichtigsten Branchenmesse im Februar einen neuen Laserdrucker im Markt ein. Sie planen, nach erfolgreicher Listung im Handel, Anfang Mai eine Endverbraucherkampagne mit einem Schaltvolumen von über 10 Mio. €, bei Produktionskosten von 1 Mio. €. Entgegen Ihrer Erwartungen ist der Markt in der Nachcoronazeit jetzt aber doch rückläufig und auf der Messe hat der Marktführer HP eine völlig neue Reihe von Druckern vorgestellt – auch damit haben Sie nicht gerechnet. Wie schaffen Sie es diese neue Faktenlage in Ihrem Marketingplan zu berücksichtigen? Die erste Voraussetzung hierfür ist die Etablierung einer schnellen, professionellen und pragmatischen Controllingsystematik, die es uns ermöglicht Risiken in angemessener Weise zu berücksichtigen, aber eben auch Chancen schnell zu erkennen und diese zu nutzen. 

Schritt 1: Listungschancen abschätzen

Wenn wir über den Handel verkaufen macht Endverbraucherwerbung natürlich nur Sinn, wenn unsere Produkte im Handel auch verfügbar sind. Die Voraussetzung hierfür ist wiederum die Listung beim Handel. Wie könnten wir hier vorgehen?

Bereits auf der Messe könnten wir bei unseren Gesprächen mit Einkäufern, die Marktchancen unseres neuen Druckers abfragen und vom Vertrieb eines sogenannten Listungsspiegel erstellen lassen. Dieser hat folgende Systematik:

Listungsspiegel Listungschancen bewerten

Direkt nach der Messe, werden dann Gespräche mit den Entscheidern des Handels fixiert. Hier geht es darum, wie schnell die Folgetermine vereinbart werden können und wie die zuständigen Vertriebsmitarbeiter die weiteren Listungschancen bei den jeweiligen Händlern einschätzen.

Last but not least folgt der Rütlischwur: welcher der Händler hat uns in sein Sortiment aufgenommen. Es geht dabei sowohl um die numerische als auch um die gewichtete Listung. Erst wenn uns beide Kennziffern ausreichend erscheinen, wird die, ja durchaus kostenintensive Werbemittelproduktion für unsere Endverbraucherkampagnen beauftragt.

Schritt 2: Distribution

Ausgehend davon, dass die Menge für die Erstbevorratung der Händler bei uns im Lager vorhanden ist bzw. sich im unmittelbaren Zulauf befindet, folgt die Belieferung der Händler. Auch hier würden wir erst nachdem eine ausreichende numerischen und gewichtete Distribution absehbar ist, den Mediaplan finalisieren und schalten. Eventuell könnten hier zunächst regionale Schwerpunkte (z.B. primäre Belieferung des Rhein-Main-Gebietes) oder zielgruppenspezifische Ansprachemodelle (z.B. über Retargeting Kampagnen oder Schaltung von Werbung für definierte Zielkundenprofile via LinkedIn oder über Branchenforen)  Sinn machen. Erst bei einer relativ breiten Distribution würden dann erst bundesweite Medien für breitere Zielgruppen effizient sein, wie zum Beispiel Anzeigen in Zeitschriften. Wir sehen auch hier: Marketing- und Mediapläne dürfen in einem VUKA-Umfeld nicht „in Stein gemeißelt sein“

Schritt 3: Kampagnenwirkung

In den Testmärkten und Zielgruppen würden wir dann die Wirkung unserer Werbekampagnen messen, zum Beispiel über den Markendreiklang und prüfen, ob unser Mediamix stimmig ist. Dies kann zum Beispiel durch Webanalytics erfolgen, durch eine Social Media Analyse oder durch eine kurze Ad-Hoc-Marktforschung innerhalb der Zielgruppe oder besser der von uns definierten Buyer Personas und ihrer Potenziale.

Schritt 4: Flexibel durch´s Marketingjahr

Agiles Controlling ist aber nicht nur bei einer volatilen Markt- und Wettbewerbssituation sinnvoll. Eine weitere Herausforderung wird zunehmend die Komplexität von Marketingtools und deren Wechselwirkung. Während Sie früher eher in einzelnen größeren Marketingmaßnahmen gedacht haben, wie Messeauftritten oder Werbekampagnen, die Sie dann noch in zwei oder drei Flights pro Jahr aufgeilt haben, ist die Marketingkommunikation heute vielfältiger und kleinteiliger geworden. Die  Digitalisierung des Marketing erfordert eine immer spezifischere Kundenansprache an immer kleinere Zielgruppen mit immer spezielleren Bedürfnissen. Dadurch werden die einzelnen durch Marketingaktivitäten erzeugten Geschäfte immer volumenschwächer, was uns dazu zwingt Marketinggelder immer stärker auf viele kleine Aktivitäten aufzuteilen, als auf wenige große. Wir müssen heute viel mehr „Longtail-Marketing“ betreiben und hier auch deutlich schneller und flexibler handeln, getreu dem Grundsatz „The future of business is selling less of more“. Ein gutes Beispiel hierfür wäre zum Beispiel eine Suchmaschinenkampagne:

Grundsätzlich gibt es ja zwei Wege diese zu gestalten: zum einen SEO (Search Engine Optimization), d.h. Investitionen in die Optimierung unserer Website, um in Google zu den relevanten Suchwörtern eine möglichst hohe Position zu erreichen. Die andere Möglichkeit ist die Schaltung von Werbung innerhalb der Suchmaschine – SEA (Search Engine Optimization). Tatsächlich führen hier beide Wege nach Rom. Aber welcher ist der effizientere?  Die Antwort darauf: Sie wissen es in der Regel nicht. Deshalb ist es wichtig Gelder und sonstige Ressourcen, wie zum Beispiel auch Ihre Arbeitszeit immer dort einzusetzen, wo man mehr Wirkung erreicht und das muss dann jeweils immer zeitnah und praktikabel mit Zahlen, Daten und Fakten gemessen und ausgesteuert werden.

agile Budgetierung am Beispiel SEO und SEA

Das Ziel der oben gezeigten Vorgehensweise: wie in einer kommunizierenden Röhre werden die Gelder immer wieder dorthin gewichtet, wo sie die größte Wirkung entfalten können. Und das schnell, auf Fakten basierend und flexibel – das ist agiles Marketing. Dieser Weg wiederum erfordert Mut, die schnelle Ermittlung geeigneter Kennziffern und natürlich auch umfangreiche Kenntnisse und Erfahrungen über die Wirkungen und Wechselwirkungen einzelner Marketingtools. Schließlich müssen Sie ständig neue Entscheidungen von zum Teil erheblicher Tragweite treffen.

Trotzdem bleiben natürlich immer Unschärfen und Risiken. Aber waren die nicht in der klassischen Marketingplanung nicht viel ausgeprägter? Konnten Sie immer den Erfolg einer Messe in Euro und Cent ermitteln? Oder war es Ihnen möglich schnell und sicher ein Urteil über den Erfolg einer Printkampagne zu fällen?

Agiles Marketing ist deshalb nie chirurgisch präzise, denn die neue Marketingwelt ist, wie eingangs erwähnt schlicht VUKA. Es gilt deshalb gilt hier das bereits oben erwähnte Credo des vielleicht erfolgreichsten Investors aller Zeiten, nämlich Warren Buffet, der einmal sagte: „Lieber ungefähr richtig als absolut falsch“.