von Fred Geiger
Das Märchen von der Diversity und die Macht des Social Proof
Als unverzichtbarer Bestandteil im Kanon der Softskills, die ein Mitarbeiter heute „matchen“ muss, wird heute die Eigenschaft der „Teamfähigkeit“ von Bewerbern gefordert. Ganz unabhängig, ob es dabei um eine Ausbildungsstelle als Maurer, die Position des Entwicklungsingenieurs bei einem Maschinenbauunternehmen oder die eines Parteivorsitzenden einer im Bundestag vertretenen Partei geht – mangelnde Teamfähigkeit ist ein k.o.-Kriterium. Das Bild des „einsamen Wolfs“, des genialen, aber etwas verschrobenen Forschers oder das des im persönlichen Umgang eher schwierigen Firmenpatriarchen ist irgendwie aus der Mode gekommen. Gelten diese sozial eben etwas inkompatibleren Menschen in Zeiten der wirtschaftlichen Komplexität, der Globalisierung, der Work-Life-Balance und der Achtsamkeit (mit sich und anderen) doch als Auslaufmodell. Es fehle, so viele wohlmeinende Protagonisten der neuen Führungskultur, diesen Menschen an Produktivität und der Fähigkeit ihr Wissen der guten Sache vorbehaltlos zur Verfügung zu stellen. Der Patriarch ist der Ketzer des 21. Jahrhunderts, der linkische Forscher wird im smarten Weltkonzern erst gar keinen Job finden, geschweige denn Karriere machen und um die Teamarbeit tanzen die Verantwortlichen in den Unternehmen wie einst die Israeliten ums Goldene Kalb. Das Hohe Lied gehört dem Teamwork!
Wenn Sie sich andererseits die erfolgreichsten Unternehmer des neuen Jahrtausends anschauen, sind diese oft keine guten Teamplayer, ja im Gegenteil oft das genaue Gegenteil davon: Steve Jobs hat seine Kunden nie gefragt, was sie brauchen, Jeff Bezos gilt ebenso wie Elon Musk als (wie soll ich es am besten ausdrücken, ohne am Ende den Regeln des neuen Netzwerkdurchsetzungsgesetzes zum Opfer zu fallen) „ausgemachtes Ekel“? Und wer könnte sich den doch eher schüchtern und introvertiert wirkenden Bill Gates als smarten Projektleiter eines „diversen“ (sprich vielfältigen) Teams bei IBM vorstellen?
Verstehen Sie mich nicht falsch: Auch ich bin der Meinung, dass gerade im Marketing gut organisierte und faire Teamarbeit ein elementarer Erfolgsfaktor ist. Weil die unfassbar zunehmende Komplexität der Marketingarbeit, die Notwendigkeit sich (bedingt durch die Weiterentwicklung der Digitalisierung) ständig mit neuem Know-How auseinanderzusetzen und die zunehmende Vernetzung von Tätigkeitsgebieten nur im Team zu bewältigen ist.
Wir dürfen aber gerade deshalb die Schattenseiten der Arbeit im Team nicht einfach negieren. Teams haben nämlich eine Reihe von Nachteilen, wie das „Not-Invented-Here-Syndrom“, eine höhere Risikobereitschaft als einzeln verantwortliche Personen und einen höheren Zeitbedarf für den Entscheidungsprozess. Je größer und diverser ein Team, desto mehr Friktion entsteht dabei. Ist doch eine Vielfalt der Meinungen per se anstrengend, macht doch Diversity Entscheidungsprozesse im Team komplexer und langwieriger und wenn die Entscheider für eine technische Lösung ausschließlich Ingenieure sind, kann diese Lösung doch wohl nicht falsch sein – oder? Das zentrale Problem für das Ergebnis einer im Team erbrachten Leistung ist aber unsere angeborene Neigung uns manifesten Mehrheiten anzuschließen.
Das untere Bild zeigt Arbeiter während des Stapellaufs der „Horst Wessel“, eines Segelschulschiffs der deutschen Kriegsmarine im Jahr 1936. Nur 3 Jahre nach der Machtergreifung der Nazis, verweigert tatsächlich nur ein einziger Arbeiter den Hitlergruß. Dazu muss man wissen, das diese Arbeiter noch 1932 mit überwältigender Mehrheit die Sozialdemokraten und andere Parteien „links der Mitte“ gewählt haben. So funktionieren Diktaturen, Sekten und Fanclubs. Darüber hinaus aber auch das eine oder andere Unternehmen und übrigens auch die meisten Sozialen Medien: Wenn Mehrheiten sich sichtbar und dominant zeigen, wollen wir dazu gehören, obwohl wir uns vielleicht noch kurz vorher in der Opposition befanden. Dieses Phänomen nennt sich „Social Proof“.
