von Fred Geiger
Warum wir eigenen Erfahrungen und fremden Erfolgsrezepten nicht vorbehaltlos vertrauen sollten
In den USA steht das Wort „Edsel“ sinnbildlich für einen Megaflop in Sachen Marketing. Gilt dieses Fahrzeug von Ford doch als eines der grandiosesten Missgeschicke in der Historie der Absatzwirtschaft. Aber desaströse Fehlentscheidungen sind in Marketing und Vertrieb sehr viel häufiger, als man gemeinhin annimmt. Nur werden wir leider von den Erfolgsgeschichten kommunikativ dominiert. Dadurch erhalten wir ein irreales Trugbild, das es uns schwer macht, die rational richtigen Entscheidungen zu treffen. Wir gehen immer wieder einer hinterhältigen Fata Morgana auf den Leim, die uns manchmal sogar am richtigen Denken hindert.
Warum das so ist? Menschen wollen einfach Erfolgsgeschichten hören, Menschen wollen sich Ihrer Entscheidungen und Ihrer gewählten Strategien sicher sein, Menschen wollen Ihr Weltbild störende Gedanken ausblenden und Menschen neigen in Ihrem Streben nach Harmonie zum Opportunismus.
Einige Beispiele gefällig: Welcher Uniprofessor im Fach Marketing will schon den Hörsaal einem Loser zur Verfügung stellen, der einen Nachmittag über seinen grandiosen Misserfolg referiert, wenn man doch alternativ den smarten Hipster von diesem schicken Berliner Start-Up einladen kann, der das Audimax füllt und dort nicht nur über seine geniale Idee, sondern auch über seine tollen unternehmerisch denkenden Mitarbeiter und die kostenlose Cafeteria seiner Dotcom-Firma mit der selbstverständlich veganen Speisekarte berichten kann? Am Ende besteht der Praxisbezug des Marketingstudiums aus einer wahllosen Aneinanderreihung solcher Erfolgsgeschichten.
Ein (angestellter) Unternehmenschef, der für den ökologischen Umbau unserer Gesellschaft und seines Unternehmens eintritt aber in der Flüchtlingskrise eine AFD-nahe Position einnimmt – undenkbar.
Ein Produktmanager, dem man die größte Marke des Unternehmens anvertraut hat und der zwei Wochen nach seiner Inthronisation vorschlägt, das Werbebudget zu halbieren, da es seiner Meinung nach viel zu hoch ist – solch tollkühnen Mut habe ich noch nicht erlebt.
Weil wir im Studium und in dem darauf folgenden mehr oder weniger erfolgreichen Berufsweg nun einmal so stromlinienförmig sozialisiert werden, glauben wir deshalb alle, dass der Marketingerfolg auf einem klar erkenn- und erlernbaren Kanon von Gesetzmäßigkeiten basiert und wir diesen auch beherrschen. Wir Glückspilze können dann auch noch diese Geheimwissenschaft im Rahmen von so kostenlosen wie grandiosen Praxisvorträgen im Studium und dann weiter in teuren Erfolgsseminaren auf unserem Weg vom Marketingassistenten zum Head of Marketing eines Unternehmens quasi „en passent“ erwerben. Unser Blick auf die Welt ist aber aus diesen Gründen leider ein sehr verengter und fördert immer die gleichen Denk- und Verhaltensmuster, die dann in der Nachbetrachtung zum oft entsetzlich banalen Denkfehler mutieren. Oder, um in der Marketingsprache zu bleiben – sich als ein „Edsel“ herausstellen.
