oder warum wir uns so schwer tun, innovativ zu sein
Zwei bekannte deutsche Sprichworte widersprechen sich ja diametral. Das eine lautet „Gegensätze ziehen sich an“, das andere „Gleich und Gleich gesellt sich gern“. Aus der Soziologie und der Psychologie wissen wir aber, dass nur die Richtigkeit des zweiten wissenschaftlich beweisbar ist. So sind die Scheidungsraten bei Paaren, die einen ähnlichen Hintergrund haben (Alter, soziale Klasse, Bildung, Attraktivität etc.) deutlich geringer, als bei Ehen, wo es große Unterschiede zwischen den Partnern gibt. Lothar Matthäus kann ein Lied davon singen. In Unternehmen mit geringerer Diversity ist das Konfliktpotenzial deutlich kleiner, als in Organisationen mit großer Spreizung in Sachen Alter, Geschlecht, Ausbildung oder ethnischer Herkunft. Eine durchaus unbequeme Tatsache ist auch, dass Rassismus und die Ablehnung des Unbekannten dem Menschen quasi „in die Wiege gelegt“ ist, weil schon in der Steinzeit die Zuwanderung eines fremden Clans in die Nähe unserer Höhle eine handfeste Gefahr für unser Überleben bedeuten konnte. Waren wir doch jetzt gezwungen die überschaubaren Ressourcen, die bislang ausschließlich unserem Stamm zugänglich waren, seien es die Beeren und Früchte, das Feuerholz oder die wenigen erjagbaren Mammuts, mit anderen zu teilen. Das Fremde, das Neue, das Andere haben wir deshalb immer als Bedrohung wahrgenommen. Kein Wunder also, dass Donald Trumps „America first“-Ideologie bei der Mehrheit der US-Wähler verfangen hat oder warum die Briten mehrheitlich für den Brexit gestimmt haben.
Dieser urzeitliche, in früheren Zeiten auch ausgesprochen sinnvolle Mechanismus, ist in einer globalisierten Welt mit Hyperwettbewerb auf weltweiter Ebene natürlich ein schlechter Ratgeber. Es ist nur ungeheuer schwer, sich davon frei zu machen, denn wir suchen unwillkürlich nach dem, was uns nah ist. Nähe schafft Sicherheit und Vertrautheit, Nähe ist aber auch die Ursache für den Similarity Bias.
Jetzt könnte, bei Ihnen, der Sie vielleicht (wie die meisten im Marketing arbeitenden Menschen) einem bürgerlichen Elternhaus entstammen, sich als liberal denkend, weltoffen und demokratisch bezeichnen, bei Ihnen, der Sie in einem international ausgerichteten Unternehmen arbeiten und ein Semester im Rahmen des Erasmus-Programms in Paris studiert haben. Vielleicht könnte gerade deshalb bei Ihnen, die Überzeugung herrschen, dass Sie keinesfalls auf so steinzeitliches wie falsches Denken hereinfallen. Sie sind erhaben über all dieses Kleingeistige und Spießige, dass Sie gleich an RTL-Sendungen denken lässt, die im Nachmittagsprogramm das Elend des deutschen Prekariats schildern oder die Nachbarn Ihrer Eltern, die in ihrem ganzen, zumindest Ihnen bekannten Leben, nur in Restaurants mit ausschließlich deutscher Küche zum Essen gegangen sind. Wenn Sie also der Überzeugung sind, dass Sie Vielfalt wünschen, ja vielleicht sogar lieben und auf die Welt eine quasi vorurteilsfreie Sicht haben. Wenn Sie wirklich dieser Überzeugung sind, dann, und wirklich genau dann, sind auch Sie auf den Similarity Bias hereingefallen.
Denn Sie werden, wenn Sie in sich gehen, möglicher Weise feststellen, dass in Ihrem gentrifizierten Wohnviertel niemand wohnt, der für 11,50 € Schichtdienst im Callcenter leistet. Im weiten Bekanntenkreis wählt niemand die AFD (von Onkel Gerhard einmal abgesehen, aber der war Ihnen schon in frühester Jugend suspekt). Wahrscheinlich werden Sie überrascht feststellen, dass alle Ihre Freunde a.) auch studiert haben (wie nur 13 % der Bevölkerung), b.) alle im ungefähr demselben Alter sind (wie nur etwa 7 % der Menschen), c.) meist in einer Großstadt wohnen (wie etwa 25 % der Deutschen) und sich d.) im Freundeskreis auch niemand befindet, der in der Produktion einer Wurstfabrik oder als Putzfrau seinen/ihren Lebensunterhalt verdient. Und bei den Ihnen bekannten Kollegen aus Afrika und dem Nahen Osten hat garantiert niemand seine Töchter verstümmeln, vulgo beschneiden lassen. Selbstverständlich hat Ihr indischer Arbeitskollege auch überhaupt kein Problem im Umgang mit Kollegen, die er einer niedrigeren Kaste als der seinen zuordnet.
Wir sind also alle gefährdet, uns in einer Filterblase zu bewegen, denn selbstverständlich stellen Menschen ohne Studium den Großteil der Bevölkerung, arbeiten rund 3 Mio. Menschen im Einzelhandel (davon rund 2 Mio. als Teilzeit- oder Geringfügig-Beschäftigte) und rund ¼ der Bevölkerung ist älter als 65. Auch unsere Arbeitskollegen aus Nigeria, Ägypten oder Indien gehören einer winzigen, für das Land völlig untypischen Bevölkerungsgruppe an, nämlich den von Samuel P. Huntington einmal als „Davos-Menschen“ bezeichneten Eliten, die meist angelsächsisch geprägt sind und auch ganz häufig dort (sprich in den USA oder UK) studiert haben.
Für Unternehmen entstehen durch den Similarity Bias zwei wesentliche Gefahren: zum einen führt es langfristig zu einer falschen Personalauswahl, zum anderen zu einer verengten Sicht auf die Welt, die Märkte, die Zielgruppen und die Kunden.
Meine beste Mitarbeiterin in all den Jahren meiner abhängigen Beschäftigung war eine Frau mit koreanischen Wurzeln, Ina, die ich zum Teil gegen die Widerstände der Personalabteilung gewinnen konnte – hatte sie doch nicht die in der Stellenbeschreibung definierte formale Ausbildung, sprich ein einschlägiges Studium der BWL mit Schwerpunkt Marketing plus 3 bis 6 Jahre Berufserfahrung in diesem Umfeld. Ich habe sie eingestellt, obwohl sie „Hotelerin“ war und nur über rudimentäre Marketingkenntnisse verfügte. Als sie uns dann nach einigen Jahren verließ, sichtete ich die Bewerbungen final und lud zwei Frauen zum Gespräch ein, die vordergründig einen ähnlichen Lebenslauf aufwiesen wie Ina. Diese beiden Frauen waren aber bereits im ersten Vorstellungsgespräch peinliche Flopps und ich habe mit meiner Entscheidung vielleicht andere gute Kandidatinnen/Kandidaten, um die Chance gebracht, uns mit einem guten Auftritt im Vorstellungsgespräch zu überzeugen.
Typischer Fall von Similarity Bias: aufgrund der guten Erfahrungen mit einer Frau aus der Hotelbranche mit einer genetisch asiatischen Herkunft (Ina wurde aber bereits als Baby von einer deutschen Familie adoptiert), habe ich geglaubt, dass diese beiden Auswahlfaktoren bei der Stellenneubesetzung entscheidend sind. Objektiv ist das natürlich Unfug, aber eben auch weit verbreitete Praxis bei Personalentscheidungen: da werden Mitarbeiter eingestellt, weil sie aus dem gleichen Regierungsbezirk wie ihr Chef stammen, die Vorliebe für mittelhochdeutsche Dichtung, die sie mit ihrem zukünftigen Vorgesetzten teilen, wird zum zentralen Entscheidungskriterium bei der Besetzung der Stelle eines Entwicklungsingenieurs und ein Fan des TSV 1860 München qualifiziert sich nicht für die nächste Runde der Vorstellungsgespräche, weil der anwesende Personaler Bayern-Fan ist.
Wir wählen also das falsche Personal aus, weil wir nach „Ähnlichem“ suchen oder Erfolgsmuster zu erkennen glauben, die keiner seriösen und nur halbwegs objektiven Prüfung standhalten würden. Und so ist die logische Folge ganz häufig eine so monotone wie konfliktarme Firmenkultur, wo nur Männer in der Geschäftsführung vertreten sind, die auch noch alle einen technischen Studiengang absolviert haben. Da ja der Betriebswirt (FH) Rupert Stadler, der Vorstandsvorsitzende der Audi AG, im Rahmen der Dieselaffäre seinen Abschied genommen hat, musste ein Nachfolger her. Wichtigstes Kriterium laut Süddeutscher Zeitung: der Mann! müsse unbedingt Ingenieur! sein, denn Stadler (der den Umsatz von Audi während seiner Tätigkeit als Vorstandsvorsitzender übrigens verdoppelt hat!) und der Interims-CEO Bram Schot seien ja „nur“ Betriebswirte gewesen. „Benzin im Blut zu haben“ wird also, wohl von den anderen meist als Ingenieuren ausgebildeten Vorstandskollegen, zum elementaren Erfolgsfaktor (v)erklärt, obwohl dies gerade in diesem Fall nachweislich nicht so ist. Typischer Fall von Similarity Bias.
IBM war vor dem Siegeszug des PC und des Internets die bestimmende Kraft der IT-Branche. Der Markt wurde durch Großrechner (Mainframes) und mittlere Datentechnik dominiert und es gab weltweit nur 8 bedeutende Hersteller. Einer dieser 8 Hersteller war übrigens auch die Siemens AG. IBM war aber so viel größer als die anderen Anbieter, dass man im Markt auch von „Schneewittchen und den sieben Zwergen“ sprach.
Für IBM war es völlig logisch, dass die Zukunft der IT auf jeden Fall im Mainframe-Bereich liegen würde, denn es ist natürlich klug Daten und Programme zentral zu lagern und zu sichern (was ja heute im Rahmen der Cloud-Lösungen wieder eine Renaissance erlebt). Auch war für Unternehmen eine Lösung, die aus einem Zentralrechner und angeschlossenen „dummen“ Terminals bestand, viel günstiger und vor allem leichter zu überwachen und zu betreuen. Auch war für IBM klar (es handelt sich ja schließlich um die International Business Machines), dass es für Computer keine Anwendungen außerhalb des B2B-Bereichs geben könne. Insofern wurden die ersten PC´s von Commodore, Atari oder Apple nur milde belächelt. Man konnte sich einfach nicht vorstellen, dass es für Personal Computer einen Markt geben könnte.
Was IBM völlig falsch eingeschätzt hat (weil natürlich auch ein Unternehmen, das durch Techniker dominiert wurde), war die Unlogik von Märkten. Es wog am Ende für User viel schwerer, dass die eigenen Daten und Programme „zu Hause“ auf einer winzigen lahmen Festplatte oder einer 5 ¼ Zoll Diskette verfügbar waren, als auf einem anonymen Großrechner, der zu dieser Zeit die technisch eindeutig überlegene Lösung darstellte.
Alle bedeutenden Player, die die Gesellschaft 4.0 vorantreiben, sind fast alle erst in den letzten 30 Jahren entstanden (z.B. Google, Apple, Amazon, Facebook, Twitter) oder haben in dieser Zeit ihr Geschäftsmodell revolutionär verändert (z.B. Samsung, Huawei, Trumpf, Otto-Konzern, Springer-Verlag). Auf der Strecke bleiben die, die meinten man müsse das traditionelle Geschäft einfach weiter betreiben und die Digitale Transformation im Marketing bestünde nur aus der Unternehmenswebsite, einem Facebook-Auftritt und einer firmeneigenen Plattform auf der man Ersatzteile ordern kann. So ist denn auch die Börsenkapitalisierung von IBM von 2009 auf 2019 um 17 % gefallen und die von Apple um 473 % gestiegen. Apple ist heute an der Börse 6 X wertvoller als IBM. IBM, das Unternehmen, das vor der Jahrtausendwende auf dem Weg zur größten und wertvollsten Aktiengesellschaft der Welt war. Dumm gelaufen – Similarity Bias.
Die revolutionäre Entwicklung der Industrie 4.0 und die digitale Transformation sind durch eine ungeheure Dynamik und dramatische Umbrüche in Wirtschaft und Gesellschaft geprägt. “Tradition” wird kein Geschäftsmodell mehr sein, klassische Budgetierung oder 3-Jahrespläne werden zukünftig eine genauso große Aussagekraft und Planbarkeit haben, wie die Weissagungen der alten Frau mit der Kristallkugel auf der letzten Esoterikmesse, die Sie besucht haben. Hüten wir uns also vor einem allzu intensiven Blick in den Rückspiegel und suchen wir das Neue:
Erweitern Sie Ihren Blick. Gehen Sie neue Wege. Streben Sie das Unmögliche an. Nehmen Sie den Kampf mit dem Unsterblichen auf“
David Ogilvy (1911-1999)