Social und Retail Ads Teil 2 – Am Anfang stehen Strategien, Ziele und die KPI´s 


von Fred Geiger

Der Siegeszug des Onlinemarketing zwingt uns durch die ungeheure Komplexität und die Dynamik der einzelnen Tools zwangsläufig zu neuen Formen der Zusammenarbeit. Die Zeiten der allwissenden Marketingentscheider, die handwerklich alle Spielarten der Marketingarbeit sicher beherrscht haben und deshalb auch im Detail sichere Entscheidungen treffen konnten, sind schon lange vorbei. Allerdings ist das noch nicht bei allen Marketingführungskräften angekommen und so ist das ebenso umfangreiche, aber eben in der Tiefe nicht ausreichende Halbwissen von Marketingmanagern in manchen Unternehmen zu einem existenzgefährdenden Problem geworden. Aus meiner Sicht manifestiert sich das wiederum in zwei Spielarten: da gibt es den „Zauderer“, der aus seiner fachlichen Unsicherheit heraus alles hinterfragt und Entscheidungen zu spät trifft. Die andere Variante ist der „Aktivist“, der schnell, stramm und falsch – aus seiner eigenen Machtvollkommenheit heraus – jeder Mode und jedem Agenturvorschlag unreflektiert folgt. Warum ich bei beiden Typen nur die männliche Form gewählt habe? Nun, leider sind es nach meiner Erfahrung meistens die Männer, die für diese Art des Denkens empfänglicher sind.

Als Rettungsanker auf dem unüberschaubaren Ozean der Möglichkeiten im Onlinemarketing bietet sich dann scheinbar völlig selbstlos unsere „Full-Service-Agentur“ an. Diese überzeugt allzu leicht die Marketingverantwortlichen davon, dass sie tatsächlich alle Formen des Onlinemarketing auf höchstem Niveau gleich gut beherrscht. Deshalb lässt sie sich gerne vollumfänglich die Planung von Kampagnen inklusive dem Controlling derselbigen übertragen. Das ist ebenso bequem wie fatal, denn unter Compliancegesichtspunkten ist es schlicht inakzeptabel, dass ein Dienstleister die für uns geleistete Arbeit in Sachen Kosten und Effizienz quasi selbst bewertet. Aber was ist die Lösung aus dieser fatalen Abhängigkeit – gerade dann, wenn man im Marketing einfach nicht über die detaillierte Expertise verfügt und es einem an ausreichender Man-/Womanpower fehlt?

Da gilt es sich zunächst anders zu organisieren – agiles Marketing ist hier das Zauberwort. Das bedeutet aber nicht, dass wir nur ein anderes Organigramm der Marketingabteilung benötigen oder ein paar neue Methoden wie Scrum, Design Thinking oder Kanban ausprobieren. Es bedeutet vor allem, dass wir wirklich teamorientiert arbeiten und uns vor allem viel stärker vertrauen. Am Ende steht ein völliger Kulturwandel in der Art und Weise wie wir im Marketing arbeiten. Aber bis dahin ist es in den meisten Unternehmen noch ein weiter Weg. Ein Beispiel ist für mich die Forderung von Elon Musk bei Tesla doch bitte wieder zu 40 Stunden Büropräsenz zurückzukehren und die Arbeit im Homeoffice doch bitteschön noch additiv zu leisten.

Wenn Sie auch Ihr Unternehmen in den ersten drei Absätzen wiedererkennen, was ist dann ein sinnvoller und pragmatischer Weg aus dieser Misere? Es ist die Rückbesinnung auf die fundamentalen Aspekte, sprich die Klärung der strategischen Fragen, der Ziele und der KPI´s meiner Onlinekampagnen. In unserem Fall: Was will ich und wen will ich zu welchem Zeitpunkt mit den mir zur Verfügung stehenden Ressourcen erreichen?

Die grundsätzlichen Strategien basieren dabei immer auf drei Faktoren:

Strategische Erfolgsfaktoren – Raum, Zeit und Kräfte

Für die Planung, zum Beispiel einer Social Ads Kampagne in Facebook, Insta, Youtube oder Twitter, wäre das u.a. die Definition der zeitlichen Sensibilität meiner Interessenten und Leads für meine Produkte. So werde ich als Reiseanbieter klären, wann die Entscheidungsprozesse für einen Sommerurlaub schwerpunktmäßig reifen, als Hersteller von Elektrowerkzeugen für das Handwerk ist vielleicht das Monatsende ein idealer Zeitraum die User anzusprechen oder als Spirituosenhersteller ist der Samstagabend von 18:00 Uhr bis 20:00 Uhr perfekt, um in Sozialen Medien Werbung auszuspielen. In der Fachsprache heißt dieser Faktor Saisonalität.

Was den Faktor Raum betrifft, sind es vielleicht großstädtische Ballungsräume, die für mich interessant sind und/oder deren Speckgürtel. Vielleicht möchte ich aber auch nur Menschen in der Fußgängerzone einer Großstadt am Samstagvormittag auf ihren Smartphones ansprechen, in der sich eines meiner 88 stationären Geschäfte befindet.

Beim Faktor Größe kann es ein festes Budget sein, mit dem ich arbeite oder ich kann Performancemarketing schalten, bei der sich eine Kampagne über einen definierten ACoS (= Average Cost of Sales) quasi selbst finanziert. Hier kann ich Kampagnen (zumindest theoretisch) monetär praktisch so lange frei nach oben skalieren wie ich lieferfähig bin.

Bei diesen strategischen Fragestellungen zeigen sich bei Social und Retail Ads auch schon die Unterschiede zu klassischen Werbekampagnen wie Print, Radio oder TV: Ich kann Social und Retail viel feiner aussteuern. Diese generelle Entwicklung im Marketing wird auch mit dem Satz „The future of business is selling less of more“ beschrieben. Das bedeutet aber auch, dass ich immer mehr, aber dafür auch immer kleinere und spezifischere Kampagnen planen muss. Das wiederum hat zur Folge, dass ich stärker zahlenbasierte und reaktionsschnellere Controllinginstrumente benötige. Dazu wiederum bedarf es klarer Vorstellungen über meine Ziele und die KPI´s, mit denen ich schnell und unbestechlich die Zielerreichung messe und auch gegebenenfalls pfeilschnell umsteuern kann.

Abhängig von Ihrem Geschäftsmodell, Ihren Absatzwegen und Ihren Zielgruppen und deren üblichen Entscheidungsprozessen gilt es auf der abgestuften Klaviatur dann die richtigen Tasten anzuschlagen. Generell könnten Sie zum Beispiel bei Ihren Kampagnen je nach der Reife eines Kauf- oder Entscheidungsprozesses (sprich: wie tief befindet sich ein potenzieller Kunde im Salesfunnel) wie folgt vorgehen:

KPI´s für Social und Retail Ads

Im nächsten Schritt gilt es dann zu klären, welche Zahlen ich in diesem KPI-Gerüst hinterlege. So werde ich versuchen mit geringen CPC die Interessentengewinnung sicher zu stellen, weil mir das Potenzial eines Interessenten im Normalfall ja nur unzureichend bekannt ist. In einer engen Branche mit einer kleinen Kundenbasis und einem hochgradig erklärungsbedürftigen und teuren Produkt ist für mich das Abonnieren eines Newsletters oder das Ausfüllen eines Formulars vielleicht viel mehr Geld wert als bei einem FMCG, wie z.B. bei einem Weinshop oder einem Pizzalieferservice. Wenn ich direkt im Web verkaufe, macht eine Optimierung der Kampagne auf Views wenig Sinn, in die direkte Abverkaufsleistung einer Kampagne kann ich hingegen möglicher Weise so viel investieren wie es meine Kosten nach Marketing erlauben.

Hier zeigt sich auch der Unterschied zwischen Social und Retail Ads: Bei der Retail Ad bin ich dem möglichen Kaufakt näher und kann in der Regel deutlich mehr Geld für die bloße Sichtbarkeit meines Angebots ausgeben (zum Beispiel bei Amazon), ein Pre-Roll Ad bei Youtube hingegen wird naturgemäß wahrscheinlich zu einer deutlich geringeren Conversion führen, weshalb wir für einen View oder einen Click viel weniger investieren würden.

Wer also mit sinnstiftenden Strategien arbeitet (die auch die faszinierenden Feinsteuerungsmöglichkeiten von Social und Retailads berücksichtigen), wer seine Ziele klar definieren kann und wer seine Social und Retailads darauf aufbauend ausschließlich über Zahlen steuert und kurzfristig auch Gelder umsteuert, ist klar im Vorteil. Und dann heißt es noch testen, testen und nochmals testen. Denn im Onlinemarketing gilt der Grundsatz, dass „schneller Scheitern“ ein Erfolgsfaktor ist. Denn nur dann schaffen wir es auf Dauer mehr Effizienz in unsere Kampagnen zu bringen. Nur dann werden wir ein sicheres Urteil darüber fällen können, welches die richtigen Kanäle und die passenden Botschaften sind. Nur dann sind wir in der Lage unsere Kampagnen kontinuierlich zu verbessern. Nur dann können wir Kampagnen granular gestalten ohne hierfür übermäßigen zeitlichen Aufwand betreiben zu müssen.