10 Erfolgsfaktoren für agiles Marketing: Teil 4 – Was müssen Führungskräfte mitbringen?


Warum ein Bemühen um Authentizität, der Mut einander zu Vertrauen und ein Höchstmaß an Fairness und Transparenz das Fundament sind, auf dem erfolgreiches agiles Marketing gelingt

„Agil“ steht im Lateinischen für Begriffe wie beweglich, flink und reaktionsschnell. Gerade im Marketing sind es diese Eigenschaften, die immer schon, vor allem aber in Zukunft erfolgreiche Unternehmen von den nicht erfolgreichen unterscheiden. Zwei Gründe sind meiner Meinung nach hierfür ausschlaggebend: einer ist der immer schärfere Sturm des Wettbewerbs, der uns in einer globalisierten Wirtschaft ins Gesicht bläst. Ein anderer Faktor ist die Digitalisierung, die das Marketing mit voller Wucht erfasst hat. Das digitale Marketing hat dabei nicht nur eine ungeheure Vielzahl neuer Marketingtools und damit mehr Komplexität geschaffen, es ist auch ein viel dynamischeres Instrumentarium: So wurde Google erst 1998 gegründet, das IPhone im Jahr 2007 vorgestellt und im Markt eingeführt und das Volumen der Onlinewerbung in Deutschland hat sich innerhalb von 15 Jahren verzwanzigfacht und ist damit zum größten Werbeträger in Deutschland avanciert.

5-Jahres-Marketingpläne, in Stein gemeißelte Mediakampagnen, beamtenähnliche Zuschnitte von Stellenbeschreibungen und der Glaube, dass Führungskräfte zu allen Marketingthemen fachlich fundierte Entscheidungen treffen können, sind hierauf keine sinnvolle Antwort mehr. An agilen Denk- und Arbeitsweisen führt im Marketing deshalb kein Weg mehr vorbei.

Das führt aber zwangsläufig zu einem tiefgreifenden Wandel in Sachen „Führungskultur“, denn Agiles Marketing ist keine Modeerscheinung, sondern eine zwingende Notwendigkeit für die erfolgreiche Gestaltung der Zukunft von Unternehmen, sprich Agiles Marketing ist gekommen, um zu bleiben. Aber was macht diesen notwendigen Wandel auch erfolgreich, der beide Welten, die der klassischen hierarchischen Strukturen in den Unternehmen und die der agilen Arbeits- und Entscheidungsstrukturen berücksichtigen muss?

Wir brauchen hierfür zunächst starke, statt schwache Führungskräfte auf den ersten beiden Ebenen der Unternehmensführung. Damit verbunden auch eine vielfältige, dynamische, authentische und faire, statt einer verarmten Führungskultur in der gesamten Organisation. Insofern ist der agile Wandel „Chefsache“, der Top-Agenda-Punkt für die Geschäftsleitung, eine ureigenste unternehmerische Aufgabe….  

In der Praxis wird die Planung, Organisation und Umsetzung agiler Managementmethoden dann aber häufig lieber an eine oder mehrere machtlose Projektgruppen delegiert. Meist unter Federführung der Personalabteilung (da man dort die größte Expertise zum Thema vermutet) und mit etwas Glück begleitet durch ein Steuerungskomitee, dem dann auch hier und da engagierte Mitglieder der Geschäftsleitung angehören. Entsprechend groß ist die Heraufforderung, denn die Widerstände gegen den agilen Wandel sind stark und zahlreich. Es gilt dabei zunächst die Führungskräfte, die dummer Weise auch die größten Verlierer dieser Veränderungen sein können, für das Agile Marketing zu gewinnen, sie zu überzeugen, ja sie sogar zu begeistern. Es gilt Ungläubige und Skeptiker zu gläubigen Anhängern zu machen. Es gilt aber auch zu verstehen, dass nicht jede Führungskraft (vor allem der mittleren Ebene) und jeder Mitarbeiter (vor allem diejenigen, die besonders stark von Veränderungen betroffen sind) diesen Weg mitgehen kann oder will und eine größere Anzahl von Häretikern einen erfolgreichen agilen Wandel unmöglich machen werden.

Aber was macht den Weg zum Agilen Marketing gerade für Führungskräfte der mittleren Ebene so schwer? Es ist das hohe Maß an Veränderung und Machtverlust, das auf Abteilungs- und Gruppenleiter zukommt. Für Top-Führungskräfte hingegen ändert sich wenig, für Fachkräfte bietet Agiles Marketing sogar die Erweiterung von Kompetenzen und mehr Sichtbarkeit in der Organisation. Wie muss sich deshalb Führung und damit die Führungskraft verändern? Nach meinen Erfahrungen sind dabei 3 Faktoren wichtig:

  1. Mit persönlichem Format statt mit Überlebensstrategien Mitarbeiter führen
  2. Die 7 S moderner Führung anwenden und ohne Kompromisse vorleben
  3. Die Widerstände einer Kultur des Wandels aktiv überwinden

In diesem Blogartikel werde ich mich ausschließlich mit Punkt 1.) beschäftigen. Was also macht das persönliche Format einer Führungskraft im agilen Wandel aus?

Wenn Sie Mitarbeiterbefragungen, unabhängig von der Größe des Betriebs oder der Branche auswerten, taucht hier ein Wunsch ganz oben auf: „Die Führungskraft solle authentisch sein“. In hierarchischen Organisationsformen besteht allerdings kein Grund dieses Ansinnen von vermeintlich oder tatsächlich „Untergebenen“ auch zu erfüllen – im Gegenteil, hier sind sogenannte „Überlebensstrategien“ oft erfolgreicher: gestelzte, vermeintlich intellektuell begründbare Abgehobenheit, ein ausgeprägter pädagogischer Abstand zum Fußvolk und eine Distanziertheit, die sich schon aus dem Einzelbüro und der Vorzimmerdame ergeben, werden mit Führungsstärke gleichgesetzt.

Der Preis hierfür: die Organisation ist weder beweglich, noch flink und schon gar nicht reaktionsschnell, wenn Entscheidungen getroffen werden müssen, die den persönlichen fachlichen Horizont der Führungskraft übersteigen. „Live“ können wir dies gerade in der Coronapandemie beobachten: fachliche Entscheidungen über medizinische oder statistische Fragen ausschließlich einer Ministerpräsidentenkonferenz zu überlassen und nicht einer vielfältigen Gruppe von Menschen mit multiplen fachspezifischen Erfahrungen, hat sich aus objektiver Sicht als nicht besonders klug herausgestellt.

Im Marketing der Zukunft ist es deshalb sinnvoll, seinen Elfenbeinturm zu verlassen, so ehrlich und offen wie möglich zu kommunizieren, Abstände zu Mitarbeitern nicht nur mental, sondern auch räumlich zu verringern und Entscheidungen an den Ort und die Personen zu delegieren, der/die dafür fachlich die „Richtigen“ sind. Als Führungskraft befinden Sie sich damit allerdings in einem Spannungsfeld, das Ihnen bewusst sein muss, denn authentisch sein bedeutet ja:

  • dass das Handeln einer Person nicht durch externe Einflüsse bestimmt wird, sondern aus der Person selbst stammt (die gängige Definition von „Authentizität“);
  • dass eine authentische Person „echt“ wirkt, das heißt, sie vermittelt, dass sie real, urwüchsig, unverbogen, ungekünstelt ist und eben auch
  • dass echte und ungekünstelte Menschen aber eben leider auch despotisch, launisch, cholerisch oder zickig sein können.

Das entspricht ja dann aber in der Regel weder dem Wunsch der Mitarbeiter noch werden solche Führungsprinzipien dauerhaft von den eigenen Vorgesetzten goutiert. Es geht im agilen Wandel also mehr um „authentisch wirken“ und deshalb ist der agile Wandel für Führungskräfte so schwer zu stemmen, denn er bedarf immer auch eines gewissen schauspielerischen Talents. Denn authentisch wirken heißt nicht distanzlos zu agieren, authentisch wirken heißt trotzdem vorbehaltlos Vorgaben der Geschäftsleitung zu vertreten, auch wenn sie der eigenen Meinung widerstreben und authentisch muss ich auch wirken, wenn ich in meiner Rolle z.B. in einem Projekt trotzdem Entscheidungen zwischen Alternativen treffen muss, die ich fachlich nicht zu 100 % durchdringen kann. Mein Rat: versuchen Sie so authentisch wie möglich zu sein, bemühen Sie sich aber vor allem um eine wasserdichte authentische Wirkung nach außen, auch wenn das hier und da an mentale und ethische Grenzen führt. Schwierig vor allem dann, wenn man in der Welt der festen Organigramme und der eindeutig definierten Stellenbeschreibungen sozialisiert wurde.

Sein Zelt im agilen und digitalen Marketingwandel wetterfest zu machen, bedeutet für Führungskräfte aber noch viel mehr als eine neue Offenheit und wirksame Authentizität zu schaffen. Welche Eigenschaften, die uns mit unseren Genen und unserer frühkindlichen Erziehung mitgegeben wurden sowie welche Grund- und Glaubenssätze, die wir im Laufe unseres Lebens erworben haben, sind hierbei von Vorteil?

Günstig ist es, wenn man persönliches Format hat, was sich vor allem in echtem Mut zu Entscheidungen ausdrückt. Unabdingbar ist es, ein ausgeprägtes Vertrauen in die Fähigkeiten von Mitarbeitern und Kollegen zu besitzen. Dazu noch ein Höchstmaß an Transparenz in der Kommunikation und Fairness im Umgang mit allen Menschen, die Beiträge zum gemeinsamen Erfolg leisten.  Konkret sind dabei aus meiner Sicht folgende Eigenschaften wichtig:

  • Eine ausgeprägte Kommunikationsbereitschaft, die auf Dialog basiert – denn „wer nichts sagt erfährt auch nichts“. Das ist deshalb von Vorteil, weil in der agilen Marketingwelt viel mehr und vor allem viel aktuelleres Wissen notwendig ist, um fundierte Entscheidungen zu treffen.
  • Ein persönliches Vorbild sein und nicht „Wasser predigen und Wein saufen“. Weil Sie in einer agilen Organisation schlicht mehr unter Beobachtung stehen und Fehlverhalten durch Kooperationsverweigerung bestraft wird.
  • Angemessenen Führungswillen sowie gesundes Selbstvertrauen zeigen, die Fähigkeit zu schnellen Entscheidungen auch bei unzureichender Informationslage besitzen und in schwierigen Situationen souverän bleiben. Denn das wird nach wie vor von Führungskräften, sei es durch die Hierarchie definiert oder temporär als Leitung eines Projekts im Agilen Marketing erwartet.
  • Und vor allem: anderen Menschen Vertrauen entgegenbringen, denn „Vertrauen ist die Basis jeglicher Kooperationsbereitschaft“.

Hinzu kommt natürlich die Fähigkeit all dies überzeugend zu kommunizieren, denn in der modernen Marketingwelt reicht mir die Rückendeckung meiner Vorgesetzten allein nicht mehr aus – ich muss vielmehr und tatsächlich im Wortsinn in alle Richtungen überzeugen können.

Nach diesem Loblied auf das Agile Marketing will ich am Schluss aber doch noch eine Lanze für die hierarchisch-strategische Marketingarbeit brechen, denn wir brauchen auch dieses zweite im Widerspruch zur agilen Arbeit stehende Element für unseren Erfolg:

Auf der einen Seite zeichnen sich starke Marken durch einen langen Atem, feste Werte und so klare wie eindeutige Botschaften aus, die Marketingverantwortliche stur und bisweilen diktatorisch gegen modische Strömungen und kurzfristige Begehrlichkeiten anderer Abteilungen und manchmal auch gegenüber den eigenen Vorgesetzten verteidigen müssen. Auf der anderen Seite brauchen wir mehr agiles Denken und Handeln im Marketing des 21. Jahrhunderts, weil sich Rahmenbedingungen rasend schnell ändern und die Komplexität der Marketingarbeit stetig zunimmt.

Die Kunst für erfolgreiche Marketingführungskräfte besteht aus meiner Sicht deshalb darin, „best of both worlds“ zu schaffen: einerseits ganz undemokratisch als richtig erkannte Strategien kompromisslos durchzusetzen und andererseits – gerade in Zeiten großer Ungewissheit (und die wird das neue Jahrzehnt nirgendwo in einem solchen Ausmaß bringen wie im Marketing) – agiles Denken und Handeln vorzuleben und durchzusetzen.  

Sinnbildlich für diese Herausforderung steht hier für mich der altrömische Gott Janus mit seinen zwei Gesichtern: er symbolisiert zum einen den Zwiespalt und die Ambivalenz – er ist aber auch der Gott der Türen und Tore. Insofern öffnen wir doch die Tür und verlassen wir das Haus des bisher Gewohnten. Außerdem ist Janus auch noch der Gott des neuen Anfangs (weshalb auch der erste Monat des Jahres nach ihm benannt ist):  Beginnen wir uns deshalb auch mutig der Zeitenwende zu stellen und das Marketing der Zukunft sowohl mit dem nötigen strategischen Weitblick als auch mit der zwingend erforderlichen Agilität zu gestalten. Dieser Weg birgt natürlich auch Gefahren, aber Stillstand ist keine Alternative.